Schreiben ist fühlen in Worten

Lesen und Schreiben kann ich bereits seit meinem fünften Lebensjahr. Damals liebte ich es, neben meinem älteren Bruder zu sitzen und zuzuschauen, wie er Lesen und Schreiben übte und sich arg plagte. Mir fiel es leicht, ich lernte es, in dem ich einfach neben ihm saß.

Weniger einfach ist der Inhalt des Schreibens: Wie schreibe ich eine lebendige Geschichte, mit der ich andere begeistere? Wie schaffe ich es, mit Worten zu verzaubern? Meine Gefühle so in Worten zu kleiden, dass sie der Leser regelrecht spüren kann? Ich habe in meinem Leben bisher keine Antwort gefunden. Trotz diverser Anläufe fällt mir das private Schreiben nicht leicht. Beruflich schreibe ich viel, flüssig und schnell: Pressetexte, Onlinetexte, Klappentexte, Vorschautexte, Konzepte, Berichte, etc. Von Kollegen, Freunden und Autoren werde ich für meine blumigen E-Mails, Karten und Briefe (ja, die gibt es noch) gelobt.

All die Jahre verspürte ich einen inneren Drang und Wunsch, das Schreiben nie komplett aufzugeben. Ich verschlang alle Bücher, die auch nur annähernd mit diesem Thema zu tun hatten. Schrieb, wann immer ich konnte. Leider zu selten und nichts, was mir gefiel. Erst ein Schicksalsschlag brachte mich meinem Wunsch wieder näher. Ich schreibe wieder Tagebuch wie früher, notiere Gedanken, Emotionen, Alltagssituationen, meine kleinen Schritte nach vorne. Auch jedes Wort und jede Geste meines inzwischen zwei Jahre alten Sohnes möchte ich für die Ewigkeit festhalten. Schreiben ist heilsamer Helfer in der Not und Tröster in der Einsamkeit. Schreiben bringt mich mir selbst wieder näher. Schreiben tut weh, wenn es um das eigene Ich geht. Lange Zeit hatte ich mich selbst verloren, im Schreiben habe ich mich wieder gefunden.

Mein Sohn lehrte mich, die Welt in vielen bunten Bildern zu sehen. Das wahre kleine Glück liegt im Detail: der Schmetterling, der auf einer Blume sitzt und aus dem Blütenkelch trinkt; Steine, die auf dem Weg in einem bestimmten Muster liegen; Eichhörnchen, die uns begrüßen und uns zuwinken; in Kies gemalte Sonnen, die nur für uns scheinen….

Als ich klein war, habe ich gerne auf allen möglichen Materialien herumgekritzelt. Mit der Zunge zwischen den Zähnen malte ich hochkonzentriert nur für mich verständliche Zeichen auf liniertes Papier. Stundenlang. So entstand mein erstes (Notiz-)Buch, das ich meiner Tante in Berlin zum Geburtstag schenkte. Gerade schaue ich meinem kleinen Sohn beim Malen zu. Er liebt linierte Blätter und kritzelt eifrig – wie ich schon damals – die Zeilen voller “Buchstaben” (sagt er). Dann legt er den Stift weg, blickt mich aus seinen großen grünen Augen an und sagt voller Inbrunst: “Mama, ich bin ein Kikiter (Kritiker)”. Ich blicke ihn erstaunt an und frage, was denn so ein Kritiker mache. Er rollte mit den Augen und sagt: “Ich lese!”.

Genau das ist es, was mich glücklich macht: Lesen und Schreiben. Diese beiden Tätigkeiten sind meine treusten Begleiter. Ich lese und schreibe, wo ich nur kann, trage immer ein Buch bzw. Notizbuch bei mir, neben meinem Bett liegt ein Block. Ich möchte schreiben, schreiben und einfach nur schreiben. Vielleicht werde ich eines Tages ein Buch publizieren. Gerade jetzt beim Schreiben dieser Zeilen spüre ich wieder dieses aufregende Ziehen im Bauch, diese Energie, die aus mir heraus fließen will. Glück durchströmt mich und für den Moment weiß ich, das Richtige zu tun.

Tina Müller, 2009

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